Die Tante aus El Salvador von Ruth Defoy

Die Tante aus El Salvador von Ruth Defoy

11.05.2015

Ruth Defoy ist in Hanau vielen noch bekannt als Ruth Dröse, die "Theatertante von der Frankfurter Rundschau", wie ein Hanauer Künstler sie einst nannte. Sie war lange Zeit politisch aktive Kulturredakteurin und lebt seit 1999 mit ihrem Lebensgefährten in den USA. Nun hat sie im Hanauer cocon Verlag ihr erstes erzählerisches Buch vorgelegt, über einen schillernden Spross ihrer weitverzweigten Familie: "Die Tante aus El Salvador".

Mitte der 1950er-Jahre flatterte ein Brief aus El Salvador in das Elternhaus der Autorin, in dem ein sensationelles Foto steckte. Es zeigte einen Amischlitten, auf dessen Kühlerhaube sich ein kleiner Löwe rekelte. Eine Lederleine lief vom Halsband zur Hand einer eleganten Dame, die links vom Wagen stand und in die Kamera lachte, ihre Tante Ulla. Wie kam das Löwenkind nach Mittelamerika? Und wie konnte die Tante es wagen, so entspannt und öffentlich mit einem wilden Tier zu posieren? Wer war diese Tante überhaupt?

Es dauerte fünfzig Jahre, bis Ruth Defoy diesen und vielen anderen Fragen auf den Grund ging. Während fünf Aufenthalten in El Salvador hörte sie Ulla Trabanino zu, erfuhr von den familiären Grausamkeiten, die deren Kindheit in Deutschland geprägt hatten, und wie sie als 13-Jährige nach Mittelamerika abgeschoben wurde. Sie lernte aus den Erzählungen, wie
das Leben auf einer Kaffeeplantage ausgesehen hatte, bekam die vier sehr unterschiedlichen Ehemänner geschildert und lachte mit der Tante über den abenteuerlichen Onkel Edu. Manche Anekdoten waren so bizarr und absurd, dass die Autorin sie kaum glauben konnte.

Als die Tante kurz nach ihrem 100. Geburtstag starb, holte Ruth Defoy die Gesprächsnotizen von den Salvadorreisen wieder hervor und beschloss, die schillernde Biografie der Tante zu rekonstruieren. Das abenteuerliche Leben zwischen zwei Kontinenten entspinnt sich in einem imaginierten Dialog mit ihrer Nichte, von der sie nicht nur durch unterschiedliche
Weltanschauungen getrennt ist. Nicht immer geht es freundlich zu in diesem Dialog, es wird auch gemault und gehadert, blinde Flecken werden in den Blick genommen. In all dem entfaltet sich ein Kaleidoskop aus einem Jahrhundert deutscher und mittelamerikanischer Zeitgeschichte, bizarre Ereignisse, extravagante Verwandte und bunte Anekdoten inbegriffen. Auch das Geheimnis des Löwenkinds auf der Kühlerhaube wird gelüftet ...